99 Jahre GEHAG – Ikone des genossen-, gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Wohnungsbaus

Am 14. April 1924 gründeten der Architekt, Stadtplaner und Sozialdemokrat, Martin Wagner, und der Gewerkschafter August Ellinger vom Deutschen Bauarbeiterverband die Gemeinnützige Heimstätten-, Spar- und Bau-Aktiengesellschaft. Die GEHAG sollte als Baugesellschaft neuen Typs Bindeglied administrativer Wohnungsbauförderungen einerseits und den Konsumenten, der breiten Mehrheit der Bevölkerung, andererseits fungieren.

Denn schon vor dem 1. Weltkrieg fehlten in Deutschland mehr als 400.000 Wohnungen. Nach Krieg und Niederlage stieg der Mangel reichsweit auf über 700.000 fehlender Wohnungen – vertraute Zahlen, aber aus dem letzten Jahrtausend! Die aktuellen Zustände des heutigen Wohnungsfehlbestandes liegen weit darunter. Trotzdem lassen sie mittleren Einkommen, kinderreichen Familien, Studierenden oder Alleinerziehenden kaum noch eine Chance auf ein bezahlbares, gesundes und lebenswertes Unterkommen.

Wagner hatte in den USA die Bewegungsstudien von Frederick Winslow Taylor und deren Übertragung auf den Bauablauf durch Frank Bunker Gilbreth kennengelernt. Optimierung des Bauablaufs und der Logistik waren deshalb das erste Mittel der Wahl. Ein weiteres sollten moderne, zweckmäßige Grundrisse bilden. Dafür war es Wagner gelungen, den Architekten Bruno Taut für die GEHAG zu gewinnen: Taut entwickelte die weltberühmten GEHAG-Grundrisse. Der GEHAG-Geschoßbau ist etwa 10 Meter breit. Nur zwei Wohnungen gehen von einem Treppenpodest ab. Ein kurzer Flur erschließt alle Zimmer. Die Wohnung ist von beiden Seiten belichtet und belüftet. Zwei Zimmer, etwa gleich groß, können wahlweise als Schlaf- oder Wohnzimmer genutzt werden. Küche und Bad sind am Wohnungseingang platziert, kurze Wege und Schallschutz für die ruhigen Wohnbereiche. Jedes Bad erhält ein Fenster ins Freie. Jede Wohnung erhält eine Loggia oder einen Balkon, der „Außenwohnraum“ nach Taut.

Als größtes Hemmnis vorbildlichen Wohnungsbau zu errichten, diagnostizierte Martin Wagner die öffentliche Bauverwaltung. Gegen die Borniertheit der Baubeamten nannte Bruno Taut ganze Baublöcke „Rote Front“ oder „Peitschenknall“, die Peitsche, die wir, GEHAG, „Stadt oder Bezirksamt oder Siedlungsdirektion oder freistaatlich preußischer Straßenpflasteroberkommission“ um die Ohren hauen. Die breite Basis der GEHAG sollte das gesamte Leben der Bewohner umfassen. Dazu gehörten: Die Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten AG unter Heinrich Bachem, die Konsum-Genossenschaft und die Volksfürsorge unter Adolph von Elm. Zusätzlich wurden die Allgemeine Ortskrankenkasse Neukölln unter Emil Wutzky einbezogen, die Wohnungsfürsorge, die Bauhütten, etliche Baugenossenschaften wie die Freie Scholle Tegel, gegründet von Gustav Lilienthal, oder die Baugenossenschaft Ideal, und natürlich die Gewerkschaften, vom ADGB, heute DGB, mit ihrem legendären Gewerkschaftsführer Carl Legien, den Buchdruckern, Buchbildern, Lithographen, heute Verdi, bis zum Deutschen Baugewerkebund.

Um nach Hyperinflation 1923 wieder zu einer funktionsfähigen Wirtschaft zurückkehren zu können, hatte der Reichkanzler Gustav Stresemann die Vorlage seines Finanzministers Rudolf Hilferding zu einer Notverordnung entwickeln lassen, die den Immobilienbesitz im Bestand besteuerte. Diese Steuer, Hauszinssteuer, trat am 1.4.1924 – also 14 Tage vor Gründung der GEHAG – unter Reichkanzler Luther in Kraft. Die Steuer sollte zur Hälfte dem Wohnungsbau als zinsgünstige, zweitstellige Hypotheken zur Verfügung gestellt werden, der Rest ging in den Staatshaushalt. Allein die Tatsache, dass der Staat förderte, scheint damals (wie heute) eine Euphorie bewirkt zu haben: Im Jahr 1927 / 1928 entstanden allein in Berlin 26.700 neue Wohnungen. Das ist später nicht einmal im Wirtschaftswunder 1959/60 gelungen, da waren es lediglich 23.000 Wohneinheiten. Den mit 61,1 % wichtigsten Anteil Wohnungsbau der klassischen Moderne in den 1920er Jahren hatten dabei die Gemeinnützigen Baugesellschaften wie die GEHAG.

Im III. Reich enteignet, konnte die GEHAG erst 1952 wieder eigenständig Wohnungsbau betreiben, neben Siedlungen in NRW, insbesondere die Erweiterung der Hufeisensiedlung, Britz-Süd, und Gropiusstadt. 1998 wurde die GEHAG teilprivatisiert. Ihr Portfolio erwarb die Deutsche Wohnen SE, die mit den GEHAG-Gebäuden offenbar den vorbildlichen Umgang mit ihren Immobilien übernahm. Seit 2012 gehört die Deutsche Wohnen zur Vonovia SE.

1933 Hufeisen Luftbild
1965 Emil Wutzky
1930 Martin Wagner
1933 Bruno Taut
Autor Steffen Adam