Bürgerbeteiligung und Stadtentwicklung – Jörg Brause zum AIV Salon #4

Auf Einladung des AIV zu Berlin diskutierte Senatsbaudirektorin Regula Lüscher mit Experten über Formen der Beteiligung von Bürgern und der  Fachöffentlichkeit bei großen Bauvorhaben im AIV-Salon. Das Gespräch mit Johanna Schlaack (Architektur- und Stadtsoziologin), Michael Mönninger (Architekturtheoretiker und Architekturjournalist), Andreas Krüger (Kommunikationswirt), Michael Schneidewind (Raumentwicklungsplaner, Initiative 100% Tempelhofer Feld) moderierte die Stadtplanerin Sabine Slapa am 4. September 2014.

Ob es um die Planungen für Olympische Spiele geht, die Gestaltung des Kulturforums oder den Bau einer Zentral- und Landesbibliothek, ohne eine breite Beteiligung der Berliner Öffentlichkeit werden sich diese Projekte nicht realisieren lassen. Wie aber stellt sich die Senatsbauverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt die Beteiligung von Betroffenen an Bauvorhaben in Zukunft vor? Für Senatsbaudirektorin Regula Lüscher gilt es dabei drei Ebenen auseinanderzuhalten, die für Politik und Verwaltung komplexe Herausforderungen darstellen, auf denen sich Bürger und die Fachöffentlichkeit beteiligen könnten. Auf einer Metaebene, der Frage nach dem „Ob“, sei das nicht ganz so einfach, wenn es darum gehe, eine Entscheidung für ein Projekt herbeizuführen. „Was dafür fehlt, ist ein Meinungsbild aus der breiten Bevölkerung, das die Abgeordneten befähigt eine Entscheidung finden zu können“, so Lüscher. Und sie verweist dabei als Beispiel auf die geplanten neuen Formate zur Bürgerbeteiligung bei der Entwicklung der Historischen Mitte, mit denen die unterschiedlichsten Zielgruppen angesprochen und erreicht werden sollen.

Wenn es auf einer zweiten Ebene um das „Wie“ gehe, um die Frage der Umsetzung, sei es sehr viel einfacher Bürger einzubeziehen. Wenn es etwa darum gehe, anstehende Aufgaben wie ein Pflegewerk oder die Gestaltung des öffentlichen Raums auf dem Tempelhofer Feld zu organisieren. Die dritte Ebene beträfe die Qualitätssicherung des Bauens und damit den Aufgabenbereich der Senatsbaudirektorin selbst mit Fragen zur Gestaltung, die mit allen Projektbeteiligten abzustimmen seien. Wünschenswert wäre aus Lüscher Sicht, wenn es gelingen könnte auf allen Ebenen zu diskutieren, wie Stadtentwicklung gelingen könne. Gefragt von der Moderatorin Sabine Slapa, wie zufrieden sie mit der Stadtentwicklung  sei, verwies die Senatsbaudirektorin  wiederum auf die Komplexität des Themas. Wenn es um Olympia gehe, ja oder nein, sei das in einem Abstimmungsprozess leicht zu klären. Deutlich komplexer sei aber der Prozess, Ideen umzusetzen und dabei zahlreiche Akteure mit einzubeziehen und die unterschiedlichsten Interessen unter einen Hut zu bringen. „Dass sich dann alle daran ausreichend beteiligt fühlen, ist schwer zu erreichen“. Und bei einzelnen Großprojekten wie der Staatsoper sieht die Senatsbaudirektorin auch keine Notwendigkeit für eine breite Beteiligung.

Die Unterscheidung dreier Ebenen bei der Entwicklung von Großprojekten hielt auch Johanna Schlaack für produktiv und sinnvoll. Im zweiten Statement des Abends warf die  Architektur- und Stadtsoziologin die Frage auf, wie sich die zivilgesellschaftlichen Akteure vernetzen und die Stadt mitgestalten könnten. „Bürger sollten stärker einbezogen werden“, forderte Schlaack. Insbesondere auch auf der ersten Ebene, wenn es um das Ob und die Entscheidungsfindung für ein Bauprojekt gehe. Frau Schlaack gab mit Verweis auf die Bürgerinitiative 100% Tempelhofer Feld zu bedenken –  die von einer durchsetzungsstarken Mittelschicht organisiert wurde, die  leichter  als benachteiligte Milieus ihre Interessen hätte artikulieren können – dass es bei der Bürgerbeteiligung nicht zu einem  „Survival of the Fittest“ kommen dürfe, in dem sich allein der Stärkere durchsetze. „Die Interessen von Mehrheiten und Minderheiten müssen in Planungsprozessen ausbalanciert werden“, forderte Schlaack. Statt Konfrontation sollten die einzelnen Akteure der Stadtentwicklung untereinander wie mit den Bürgern ins Gespräch kommen.

Gerade die Ausbalancierung unterschiedlichster Interessen in Berlin gelinge aber nicht, meinte Michael Mönninger,  obwohl die Senatsbaudirektorin mit allen Beteiligten als  unermüdliche Mediatorin Gespräche suche. Vielmehr führe „die Selbstorganisation der Besitzstandswahrung“ dazu, dass sich Partialinteressen gegen das Wohl der Stadt durchsetzten, so der Architekturkritiker. Dabei führe das Nebeneinander der Zuständigkeiten für die Stadt- und Bauplanung von Senat und Bezirken  zu redundanten Entscheidungen und Verschleiß. „Die Bezirke sind mit dem Stadtumbau überfordert, während der Senat zu weit weg von den tatsächlichen Aufgabenfeldern sei“. In der Stärkung der Bezirke (Rekommunalisierung mit ähnlichen Strukturen wie vor der Bezirksreform 2001) sah Mönninger eine Möglichkeit, wie es den Verwaltungen gelingen könnte, wieder vor Ort auf „Tuchfühlung zu den Bürgern“ zu gehen. „Die politischen Akteure haben kein Ohr mehr für die Stadt“, stellte Andreas Krüger mit Blick  auf die Abschlussveranstaltung des Stadtforums 2030 zwei Tage zuvor fest, an der kein einziger Vertreter der Zivilgesellschaft auf dem Podium gesessen hätte. Wie sich Bürger selbst organisieren könnten, erläuterte der  Geschäftsführer des Kreativgroßhandels Modulor und Mitinitiator des Aufbau-Haus-Komplexes, am Beispiel seiner eigenen Arbeit am Moritzplatz. Wer Neues plant sei auch selbst gefordert die Initiative zu ergreifen und auf Verwaltung und wie Anrainer zuzugehen und dafür viele Gespräche zu führen. In seiner eigenen Arbeit habe er die aus seiner Sicht mangelnde Abstimmung zwischen Senat und Bezirk überbrücken können, in dem er selbst in beiden Verwaltungen Gespräche geführt hätte. Aus diesem Prozess der Selbstorganisation sei die Initiative „Stadt neu denken“ hervorgegangen, die sich mittlerweile regelmäßig im Berliner Abgeordnetenhaus treffe.

Michael Schneidewind, Raumplaner und Initiator der Bürgerinitiative 100% Tempelhofer Feld, stimmte Krüger zu. „Die Verknüpfung von direkter und repräsentativer Demokratie führe zu solideren Ergebnissen, als durch politische Entscheidungen allein“. Zudem sei mehr Kommunikation zwischen Verwaltung und Bürgern nötig, um sie besser  über Bauprojekte zu informieren. Regula Lüscher kam dann nochmals auf die Abstimmungsschwierigkeiten in einer repräsentativen Demokratie zu sprechen. Anders als in einer direkten Demokratie wie in ihrem Heimatland Schweiz (in der das Volk das letzte Wort habe) seien die Berliner nicht im gesamten Entscheidungsprozess von Anfang an einbezogen und informiert und die Entscheidungsfindung kaum transparent. Im Berliner System sei vielen unklar wie die Verknüpfung zwischen Beteiligungs- und Meinungsbildungsprozessen gestaltet werden könnte. So, „ ohne dass die,  die sich  nicht beteiligt haben das Gefühl haben, letztlich habe die administrative oder exekutive Ebene entschieden“, meinte Lüscher. Wie an den Interessen der Stadtgesellschaft vorbei Entscheidungen getroffen würden, zeige auch das Beispiel Tegel, so Johanna Schlaak. Mit den Planungen für die „Urban Tech ii“ als Gewerbepark hätten sich wirtschaftliche Interessen durchgesetzt gegen Ideen, wie sie im AIV-Schinkel-Wettbewerb 2013 für eine weitergehende städtebauliche Entwicklung angedacht waren.

Ob und wie zukünftig mehr Bürgerbeteiligung in Berlin möglich sein wird, blieb eine offene Frage an diesem Abend. Was Berlin jetzt brauche, um die mit dem Wachstum der Stadt einhergehenden Herausforderung zu bewältigen, sei ein Mentalitätswandel, so Regula Lüscher. Und fügte hinzu: „Viel wichtiger als die Frage wie gebaut wird sei die Frage, ob Berlin sich selbst als wachsende Stadt begreift, akzeptiert dass Freiflächen bebaut werden müssen, und dass es keine endlose Freiheit mehr geben kann, die das Image der Stadt bestimmt, sondern was Neues entstehen wird.Nach Meinung von Johanna Schlaack sollten neben den quantitativen Aspekten von Wachstum die qualitativen Aspekte der Stadtentwicklung mehr in den Fokus rücken und die Grundbedürfnisse der Bevölkerung nicht aus dem Blick verloren gehen. Gelingen könne Bürgerbeteiligung nur in vielen kleinen Schritten, gab Regula Lüscher zu bedenken. Da wo neu gebaut werden solle, müsste auch den Anwohnern qualitativ etwas Neues angeboten werden, um die Akzeptanz für eine weitere Verdichtung zu fördern. Dafür brauche es aber eine personell besser ausgestattete Verwaltung, die die Zukunft auch gestalten und Dialoge anstoßen könne, die notwendig seien um Berlins Zukunft zu gestalten.

Jörg Brause, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, prese@aiv-berlin.de