Die Werkschau war vom 08.09 – 16.12.2016 zu sehen. Weitere Informationen zur Künstlerin Hannah Becher finden Sie hier.
Zwischenräume – zu Hannah Bechers Arbeiten
Hannah Becher setzt sich in ihrer künstlerischen Praxis seit einigen Jahren mit funktionalen Gebäuden und Maschinen auseinander, die besonders durch die kulturellen Gepflogenheiten ihrer Zeit geprägt sind wie auch durch ihren einstmaligen Gebrauch, etwa die Festhalle in Frankfurt, das Schiffshebewerk in Niederfinow oder den Dresdner Hauptbahnhof. Bauwerke, Geräte und Maschinen haben bekanntlich nicht nur eine räumliche, sondern auch eine zeitliche Dimension. Hannah Bechers Verfahrensweise zielt insofern weniger auf die detaillgetreue Abbildung eine bestimmten Erscheinungsweise, als vielmehr auf die Inszenierung anderer Zeiterfahrungen und Blickweisen durch künstlerische Umsetzung und Aneignung.
Am Anfang eines malerischen Aneignungsprozesses steht die Fotografie des jeweiligen Bildmotivs, die zunächst am Computer bearbeitet wird. Dann werden diese bearbeiteten Vorlagen in einem langen Prozess des Schneidens in ein eigenes bildnerisches System überführt. Die Künstlerin stellt aus diesen Vorlagen großformatige Schablonen her und legt diese ausgeschnittenen Konturen auf die mehrmals grundierte farbige Leinwand, so dass sich die Umriss- und Binnenverhältnisse umkehren. In diesen sorgsam durchdachten Umkopier-Verfahren wird die Binnenfläche – das tatsächliche Volumen eines Baukörpers – zum gemalten Motiv und die einzelnen Gebäudekanten gerinnen zur Lücke.
So kann man bei genauerer Betrachtung in dem Bild Ausfahrt (2015) aus der Ferne noch die Glaskuppel des aufwändig renovierten Dresdner Hauptbahnhofs erkennen, während diese Illusion in der Nahsicht verschwimmt. Hier sehen wir nicht das Tragewerk, sondern dessen Negativform – die unzähligen Fenster – die unübersehbar als letzte Farbschicht auf der Oberfläche schwirren. Die äußerst präzisen Linien-Kompositionen entpuppen sich als minutiöses Nebeneinander mehrerer Flächen, die in mehreren Übertragungsschritten auf die Leinwand gemalt werden.
Die Siebdrucke des gleichen Werkzykluses zeigen auf ähnliche Weise eine reduzierte Motivik, die sich ex negativo auf monochromem Grund präsentiert: Hier liegen die sichtbaren obersten gedruckten weißen Flächen über Schichten aus Kohlepapier, die sich teils hinterrücks durch die obersten Ebenen drücken, teils nur noch erahnen lassen.
In Hannah Bechers Arbeiten stülpt sich stets das malerische Verfahren vor das erkennende Sehen, statt wie gewohnt im Dargestellten zu verschwinden. Die Künstlerin verlässt sich nicht auf eine ästhetische Strategie, die quasi nachträglich andere Bedeutungen ihrer Motive freisetzt, sondern entwirft zugleich eigene Kategorien der Sichtbarkeit.
Schließlich formen die Werke eine eigene Zeiterfahrung und verweisen auf die Zwischen-Orte des Jetzt. Sie fordern geradezu dazu auf, sich Zeit zu nehmen und Gebäude, Maschinen und Dinge unserer jüngsten Vergangenheit auf neue Weise zu betrachten und eine Bestandsaufnahme dessen vorzunehmen, was um uns geschieht, was vorhanden ist, was still oder auch laut vor sich hin blubbert.
Die Werkschau ist vom 12.09 – 16.12.16 Dienstags und Donnerstags zwischen 10-15 Uhr (und nach Vereinbarung) in den Räumen des AIV, Bleibtreustraße 33 (am Ku’damm), zu sehen.
Weitere Informationen zur Künstlerin Hannah Becher finden Sie hier.