Architektur und Kunst begegnen sich in der Auseinandersetzung mit dem Raum, mit dessen Aneignung und Repräsentation. Es ist eine andauernde Beziehung, die auch die Arbeiten Jo Schöpfers prägt: Seine Objekte, auf dem Scharnier zwischen Skulptur und Architektur balancierend, eröffnen ein Feld inhaltlicher Assoziationen. In der Zusammenfügung on zweidimensionalen Teilen zu einem Dreidimensionalen wird das architektonische Prinzip in nuce aufgenommen. Die Objekte bilden einen Raum im Raum, geometrisch einsichtig, vielfältig offen in der Komplexität der Wahrnehmung. Innen und Außen, Fläche und Volumen, Zeichen und skulpturale Realität befinden sich in eigenwilliger Balance, setzen vordergründige Gegensätze außer Kraft. Der gegebene und der ideelle Raum werden in der Erfahrung der so selbstverständlichen, minimalen Architekturen zu einem unabgeschlossenen, zu einem äußerst instabilen Gefüge. Wir haben es nicht nur mit dem physikalischen Raum zu tun, sondern immer auch mit einem imaginären Raum, in dem niemand im Besitz der Wahrheit ist. Skulptur ist vielleicht immer zugleich eine Grenze und ein Übergang: Sie vermittelt zwischen Architektur und Malerei, teilt mit der Architektur ihr Sein an einem konkreten Ort, in der plastischen Verwandlung der Materie aber nähert sie sich der Scheinwelt der Malerei.
Ein Übergängiges sind auch die Bildtafeln: Reliefs, die das Verhältnis von der Fläche zum Raum, Farbe und Farbform, die aus dem Material selbst entsteht, thematisieren. Wie selbstverständlich öffnen die Arbeiten einen Zwischenraum zwischen Betrachter und Werk, zwischen Denken und Anschauung, der zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit, zwischen Aktiv und Passiv, zwischen Subjekt und Objekt changiert. Es öffnen sich Spielräume des Sehens und Denkens: ein Möbiusband zwischen Materialität und lmmaterialität.
Souverän reflektieren Schöpfrs Arbeiten, zum Beispiel die dreiteilige Wandarbeit„ Unit bleu”, so auch die Verflächigung und Materialisierung des Bildes, indem eine Art Binnenraum des Bildes geschaffen wird, der jeweils sowohl einen buchstäblichen Raum als auch imaginäre Tiefe erzeugt, wobei die Pointe häufig darin besteht, beides gegeneinander auszuspielen. Auch das Objekt „ Grid“ greift eine emblematische Form der Moderne auf, um sie sogleich zu befragen: Das Raster wurde zu einem Zeichen für einen autonomen Raum, der sich selbst zum Zweck hat, in dem Geschichte und Narration keine Rolle mehr spielen. Jo Schöpfer beleuchtet und unterminiert diese Definition des Rasters (und der Kunst der Avantgarde). Mit seinem kühnen Zugriff auf diese Ordnungsstruktur der Moderne die vom Gegenständlichen abstrahiert, scheinen Schöpfers „Grids” gerade eine „Wissenschaft des Realen“ zu befördern, indem sie das Paradox der Abstraktion und der Autonomie des Kunstwerks im und durch das Material im Wortsinne herausarbeiten und die komplexen Beziehungen zwischen der Erfahrung der Wirklichkeit und ihrer Darstellung als Form des Wahrnehmens und Denkens miteinander verbinden.
Konzentriert und frei schweben Jo Schöpfers Aquarelle auf dem Blatt. Auseinandergeklappte Boxen zeigen Faltung und Entfaltung als geistiges Abenteuer. Dabei ist der Schnitt zwischen dem, was da ist und dem, was fortgelassen wird, wesentlich. Die farbig nuancierten Aquarelle werden wahrgenommen innerhalb eines unbestimmten und doch durch das Etwas hindurch pulsierenden Raums. Jo Schöpfers Kunst ist es, gerade durch die notwendige Reduktion Fülle zu gewinnen. Fülle im Fast-Nichts, im Spiel mit der Leere, in der Auslassung. Im Wagnis der Konstruktion erkennt man, dass die Dinge einem polymorphen Sein entnommen sind, das sie als Form, Formation, Formativität facettieren und differenzieren.
Und alles wird transparente Gegenwart, bleibt offen, geheimnisvoll und klar.
Dr. Dorothée Bauerle-Willert
Plastik und Grafik: Jo Schöpfer
Abb.: »Unit bleu«, 2012, Aluminium, 180x124x3 cm
Copyright: Jo Schöpfer / VG Bild Kunst Bonn
Foto: Paul Schöpfer
Kuratiert von Philip Engelbrecht