Dauer der Ausstellung: 06.09. – 01.11.2013, Montag- Freitag 9.00 – 14.00 Uhr (ausser Mittwoch) bzw. nach Vereinbarung im AIV Berlin, Bleibtreustrasse 33, 10707 Berlin, Telefon: (030) 883 45 98, E-Mail: mail@aiv-berlin.de
Herzlicher Dank an Volker Nikel und die Galerie Villa Köppe
Vortrag zur Ausstellungseröffnung von Dr. Heike Welzel-Philipp, M. +49.(0)176.20616668
Volker Nikel formuliert seit über drei Jahrzehnten einen markanten Beitrag zur Berliner Gegenwartskunst, und dies vorneweg gesagt, mit bemerkenswerter künstlerischer Offenheit und jener Form von kreativer Neugierde, die eine, um es einmal so auszudrücken, ordentliche Dosis von „unordentlichem Gefühl“ enthält. Will sagen: Volker Nikel ist ein Künstler, der immer wieder definierte Terrains, wie die Darstellungsweisen von Figuration und Abstraktion oder die Genres der Malerei und Plastik, durchbricht und vermeintlich Gegensätzliches verbindet – und das nicht unbedingt mit kalkulierter Ratio, sondern eher aus der pulsierenden Kraft der Emotion heraus.
Den Ausgangspunkt seines künstlerischen Werdeganges stellte die figurative Malerei dar, mit der sich Volker Nikel während seines Studiums bei Professor Klaus Fußmann an der Berliner Hochschule der Künste auseinandersetzte. In den 1980er Jahren befreite er sich jedoch von aller gegenständlichen Begrenzung und brillierte auf dem weiten Feld der Abstraktion, wofür das ausgestellte Bild „Imperia“ mit seiner Konzentration auf Farbe und Form ein Beispiel ist. Nur mittels einer gelb-orangen Farbkraft wird hier der goldene Zauber eingefangen, den das Sonnenlicht auf die ligurische Hafenstadt Imperia wirft. Dazu geometrische Formen, die an Paul Cézannes Verständnis „Alles in der Natur modelliert sich wie Kugel, Kegel und Zylinder“ erinnern lassen und ein quadratischer Bildgrund, der eine Analogie zu Kasimir Malewitschs „Schwarzem Quadrat“, jener Ikone und Inkunabel der gegenstandslosen Kunst, darstellt.
In seiner aktuellen Schaffensphase jedoch, was die übrigen Bilder dieser Ausstellung bezeugen, taucht das Gegenständliche plötzlich wieder auf. Aus den einstigen Antipoden Figuration und Abstraktion ist eine bemerkenswerte Symbiose geworden.
So wird die Malfläche in tiefer Verinnerlichung des Abstrakten Expressionismus, mit dem sich Volker Nikel ab den 1980er Jahren auseinandersetzte, unmittelbar und spontan bearbeitet. Durch kurze Pinselstriche oder scharfkantige Pinselhiebe erfolgt ein energiegeladener Farbauftrag. Farbfetzen fliegen, Farbe läuft, fließt, trieft. Es wird gespachtelt. Es wird lasiert. Nebeneinander. Übereinander. Kurzum: Alles ist in Motion, nichts ist starr. Stellenweise ist die Farbe dick „alla prima“ aufgetragen, die Faktur wird opak, zeigt haptische Qualität. Stellenweise ist der Auftrag der Ölfarbe leicht und luftig wie bei einem Aquarell ausgeführt.
Immer wieder wird das Bild während der Malaktion gedreht, gewendet und übermalt, was zahlreiche Pentimenti erkennen lassen. Durch diesen vitalen Arbeitsprozess, der sich bei einzelnen Bildern über Jahre hinweg entwickeln kann, wird die Komposition ständig angezweifelt, hinterfragt, in Frage gestellt, überprüft. Aus simpler Farbfläche wird somit komplexer Farbraum.
Volker Nikel lässt das Bild ohne erklärtes Bildfindungsziel entstehen. Es wird vollends aus der Farbe geschöpft. Aus diesem Farberlebnis windet, schält sich das Figurative heraus. Die Körperform, meist schemen- oder schattenhaft vorgeführt, entsteht somit ausschließlich aus dem Farbanlass und ist frei von einer detaillierter Abbildhaftigkeit.
In dem Bild „Schilf“ von 2013, das zu einer Reihe weiterer Wasserbilder gehört und ein tradiertes Thema der Kunst, z. B. Paul Cézannes Badende, aktualisierend fortführt, steigt das Figurative wie der Meeresgott Neptun aus den Farbtiefen an die Oberfläche empor: Wasser, Menschen, Natur tauchen plötzlich auf. Immer wieder fließen Abstraktes und Figuratives ineinander. Viel warmes sonniges Goldgelb strahlt durch das Bild und wird über Orange bis hin zu infernalischem Rot spannungsvoll gesteigert.
Volker Nikel präsentiert sich durchweg als ein Maler, der die Kraft, Symbolik und Gesetzmäßigkeiten der Farbe kennt und souverän beherrscht. So lässt er immer wieder ein kräftiges Farbleuchten mit vielen Komplementär-, Warm-Kalt- oder Farb-an-sich-Kontrasten entstehen. Dennoch wirken seine Bilder niemals grell oder plakativ, sondern durch gekonnt gesetzte Zwischentöne entsteht ein harmonischer Zusammenklang. „Die Farbe tut etwas“ – konstatierte einst Johann Wolfgang von Goethe. Und Volker Nikel lässt die Farbe Gewaltiges tun!
Dieser so authentische Maler bleibt nicht nur der Begrenzung der zweidimensionalen Bildfläche verhaftet, sondern er präsentiert sich zudem als Bildhauer. Vielleicht hat ihn ja einst die haptische Qualität der überquellenden Farbe hinaus in den Bildraum gelockt, wofür der frühe „Objektkasten“ ein schönes Beispiel ist. Er erinnert an die Bildreliefs von Wladimir Tatlin, dem Vater der Konstruktivismus, mit denen der Weg von der Fläche in den Raum beschritten worden ist.
Volker Nikels im dreidimensionalen Raum angelangte Skulpturen, aus Metall oder Holz, lassen immer wieder eine Affinität zu seiner Malerei spüren. Zum Beispiel: der experimentelle Umgang mit Material, seine facettenreiche Bearbeitung in Dutzenden von Arbeitsgängen. Zum Beispiel: die auf anatomische Akribie verzichtende Figurenauffassung mit ihrer eher schattenhaft-ornamentalen Plastizität. Zum Beispiel: die Tendenz zum Spontanen, zum Gröberen.
Doch ob nun in Malerei oder Plastik: Volker Nikel gibt keine klare Deutung vor. Es geht ihm nicht um die Umsetzung eines festgelegten Ziels. Er präsentiert sich durchweg als ein Künstler, der sich vollends – fast kontemplativ – dem Material – Farbe, Metall, Holz – hingibt und dessen inhärente Möglichkeiten auf unkonventionelle Weise aufspürt. Eine wahrhaft künstlerische Intention, die nicht nur Neugierde, Mut und Risiko, sondern auch Zweifel und Fragen voraussetzt, gleichzeitig seinen Arbeiten jene bemerkenswerte Tiefe, jenen bemerkenswerten Tiefgang verleiht.
Dr. Heike Welzel-Philipp, Kunsthistorikerin