Die Finanzierung der Wohnungsfrage und das Neue Bauen – vor 100 Jahren wurde Rudolf Hilferding Finanzminister der Weimarer Republik

Rudolf Hilferding wurde am 13. August 1923 Finanzminister der Weimarer Republik. Am 4. Oktober desselben Jahres stürzte ihn eine Phalanx liberaler Politiker. Diese, heute entrückte erscheinende, Periode des Deutschen Reiches gehört wirtschaftspolitisch zu den spannendsten der ersten Demokratie in Deutschland. Die Hyperinflation hatte die Wirtschaft des Staates und das Vermögen des Mittelstandes zerstört. Rudolf Hilferding schuf zur Wiederherstellung von beidem die Voraussetzung mit einer Währungsreform. Als neue Einnahmequelle für den Staat plante Hilferding die Besteuerung wertstabilen Immobilienbesitzes. Die von ihm initiierte Hauszinssteuer sollte zur Hälfte dem allgemeinen Staatshaushalt zufallen, zur anderen Hälfte der Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus zu Gute kommen.

Mit der Hauszinssteuer wurden an 1926 die großen Siedlungsprojekte der jungen Republik finanziert: Frankfurt am Main geplant unter dem Architekten Ernst May, Altona unter Gustav Ölsner, Hamburg unter Fritz Schumacher, Celle unter Otto Haesler, München, Hannover, Krefeld und natürlich in der Reichshauptstadt. In Berlin kamen die weltweit bedeutendsten Architekten der klassischen Moderne zusammen: Martin Wagner, Bruno Taut, Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe, Peter Behrens. Im Grunde finanzierte Rudolf Hilferding den Wohnungsbau und die gesamte Periode, die als „Goldene Zwanziger Jahre“ in die Geschichte eingegangen ist.

Das war in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert:
Hilferding, Sohn einer gutbürgerlichen Familie und promovierter Arzt, war Österreicher und emigrierte 1906 nach Deutschland. Politisch wurde ein Wechsel der Nation in allen Staaten Europas, die hoch national aufgeladenen waren, als absolutes Ausschlusskriterium bewertet, als Desertation vor dem Feind, der ehemaligen Nation ein Fahnenflüchtiger, der neuen ein beargwöhnter Ausländer. Man erinnere sich an den „böhmischen Gefreiten“. Reichspräsident von Hindenburg hatte es lange abgelehnt, diesen Ausländer, diesen Migranten Adolf Hitler, überhaupt vorzulassen.

Rudolf Hilferding zählte hingegen zu den Eliten der k. und k. Doppelmonarchie. Seine Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen Partei Österreichs ab 1901 betrachteten die Konservativen als Klassenverrat. Der Vergleich mit dem jüdischen Sozialdemokraten, Prof. Dr. Leo Martin Arons, drängt sich in mehrfacher Hinsicht auf: Dr. Arons, der sich Zeit Lebens mit seinem privaten Vermögen für den sozialen Wohnungsbau engagiert hatte und hat, wurde als Physik-Professor an der Humboldt-Universität Berlin wegen seines Glaubens und als Sozialdemokrat auf Drängen Wilhelms II. von eben dieser Universität suspendiert. Die Wiedereinsetzung nach der Abdankung des Kaisers kam für den Wissenschaftler Leo Arons zu spät. Die Baugenossenschaft Ideal aus Berlin verdankt ihr Überleben den Zuwendungen von Professor Arons.

Bekannter noch dürfte der Übertritt von Winston Churchill, des späteren britischen Premierministers, 1904 von den Konservativen zu den Liberalen gewesen sein. Genau wie Churchill fand sich Rudolf Hilferding alsbald in der äußerst linken Ecke der Sozialdemokratie wieder.

Die Bewilligung der Kriegskredite des Deutschen Reichs für den Ersten Weltkrieg hatte die Arbeiterbewegung gespalten. Die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD) entstand. Rudolf Hilferding lehnte die Kriegskredite ebenfalls ab und trat der USPD 1917 bei. Allerdings setzte er sich vehement für eine Wiedervereinigung der Sozialdemokratie ein, die dann aber erst 1922 erfolgte. Denn Rudolf Hilferding galt diesen Linken als Reform-Revolutionär. Mit Reformen, so die Linken, macht man armen Leuten das Leben leichter – aber keine Revolution. Revolution und Beitritt zur Kommunistischen Internationale waren jedoch die Ziele der USPD. Für den Beitritt sollten sich die deutschen Genossen der USPD den 21 Bedingungen Lenins und der KPdSU unterwerfen. Dies Diktat wurde 1922 auf dem Parteitag in Halle diskutiert. Die USPD spaltete sich. Rudolf Hilferding und die Mehrheit der Genossen des Hallenser Parteitags waren seit dem 24. September 1922 wieder ordentliche Mitglieder der SPD, wenn auch gezeichnete.

Das Finanzministerium der Republik von Weimar war bis 1923 in der Regel an das konservativ-katholische Zentrum gegangen. Allenfalls hatte es mal ein Liberaler inne. Am 13. August 1923 wurde mit Rudolf Hilferding erstmalig ein Sozialdemokrat als Finanzminister vereidigt.

Die Situation war auch verfahren genug: Auf der einen Seite stand das siegreiche Frankreich mit dem Vertrag von Versailles. Trotz dieses Vertrages sah sich Frankreich nicht befriedigt und versuchte die Bedingung gegen Deutschland immer wieder zu verschärfen. Es ging Frankreich um Schwächung des Nachbarn, um Landnahme und Reparationen.
Das Deutsche Reich suchte hingegen nach einem international, mindestens aber einen vom Vereinigten Königreich und/oder den USA anerkannten Nachweis, dass die geforderten Reparationsleistungen von Deutschland unmöglich zu erbringen seien. Diesen Nachweis glaubte die junge Republik und das Kabinett von Wilhelm Cuno mit einer schweren Wirtschaftskrise zu erbringen. Insofern schuf die Besetzung des Rheinlandes den Hardlinern auf beiden Seiten der Grenze politisch verwertbarer Narrative: Frankreich und Belgien besetzten immer größere Teile des Rheinlandes und griffen auf die bedeutende Schwerindustrie des Reiches zu. Die Reichsregierung Cuno rief zum Ruhrkampf auf und finanzierte diesen mit der Notenpresse. Die Hyperinflation wurde sehenden Auges in Kauf genommen. 1929 hat Reichkanzler Heinrich Brüning die Weltwirtschaftskrise benutzt, um diesmal mit deflatorischen Mitteln die Zahlungsunfähigkeit Deutschlands nachzuweisen. Die Deflation stürzte das Reich in eine Depression. Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten folgte auf dem Fuße.

Eines hatte Rudolf Hilferding jedoch als Bürde zu tragen, das an sich schon jegliches politische Agieren oder gar ein Ministeramt verbot: Hilferding war Jude. Ob Rosa Luxemburg oder Walter Rathenau oder die 352 anderen politischen Morde von rechts, Judentum an prominenter Stelle oder öffentliches Wirken war in Deutschland dieser Zeit lebensgefährlich. Sogar der erzkonservativ-katholische Zentrumsangeordnete Matthias Erzberger war am 26. August 1921 von Reaktionären der Organisation Consul liquidiert worden. Denn Demokratie, Erfüllungspolitik gegenüber Frankreich, Linke und Judentum waren alle Mittel recht. Selbst die Juristen verweigerten als alte Eliten des Reiches der jungen Republik den ihr zustehenden Schutz. Der bürgerliche Reichspräsident Friedrich Ebert musste vom Gericht in Magdeburg das Urteil hinnehmen, er, Ebert, sei ein Vaterlandsverräter.

Gegen einen Finanzminister Rudolf Hilferding sprach also viel, selbst mag man denken, eigenes Interesse um persönliche Unversehrtheit. Für Hilferding sprachen seine ausgewiesenen Kenntnisse als Nationalökonom und sein fundiertes Fachwissen in Finanzfragen. Vielleicht hielt sich Hilferding wie Walter Rathenau für einen deutschen Benjamin Disraeli, der unter Queen Victoria aufgestiegen und geadelt worden war, obgleich auch er Jude war. Walter Rathenau wurde am 24.06.1922 erschossen. Hilferding traute sich das Finanzministerium zu und machte sich an die Arbeit.

Die Gelegenheit schien ja auch wieder günstig. Nach Wilhelm Cuno, den die Presse nur noch als den Verwalter des Notstands sah, beschrieb man das neue Kabinett unter Reichskanzler Gustav Stresemann als Regierung der Fachleute, die gewillt waren, den Ruhrkampf zu beenden. Die Weimarer Republik konnte ihn nicht mehr finanzieren. Es musste allerding hingenommen werde. dass die Reichregierung als Ganzes damit wiederum als Feigling vor dem Feind, als Vaterlandsverräter erscheinen musste. Die Hugenberg und Stinnes-Presse tobte. Politische Morde waren real zu befürchten.

Als Erstes legte Hilferding die Grundlage zur einer erforderlichen Währungsreform:
Die Eliten des ehemaligen Kaiserreichs, die ostelbischen Junker, propagierten Getreide als Deckung der neuen Währung. Hilferding konnte mit Unterstützung des damals noch liberalen Hjalmar Schacht den wertbeständigen Goldstandard durchsetzen.

Grundsätzlich stand die Frage im Raum, ob die Lasten aus Ruhrkampf und Hyperinflation der breiten Masse der Bevölkerung oder den Gewinnern dieser Katastrophen auferlegt werden sollte – man ist heute immer wieder an Aktuelles erinnert, Umverteilung außergewöhnlicher Gewinne aus Corona oder Ukrainekrieg. Als sozial geprägter Minister gab es für Rudolf Hilferding nur eine Antwort:

Mit zwangsweisen Hypotheken und Grundschulden auf Liegenschaften von Landwirtschaft, Industrie und Gewerbe sollten die Schulden umverteilt und eine Deutsche Rentenbank finanziert werden. Eine neue Steuer war für den Geldentwertungsausgleich bei bebauten Grundstücken vorgesehen.

Die zu erwarteten Einnahmen aus diese neuen Steuer, die später als Hauszinssteuer bekannt wurde, sollten zur Hälfte dem allgemeinen Staatshaushalt zufließen. Die andere Hälfte war allerdings zweckgebunden. Rudolf Hilferding plante, diese Steuereinnahmen ganz dem gemeinnützigen Wohnungsbau zu Gute kommen zu lassen. Mit einer Förderung des Wohnungsbaus könnte nicht nur der Fehlbestand von damals rund 700.000 Wohnungen im Reich abgebaut, sondern auch nachhaltig Arbeitsplätze im Baugewerbe geschaffen werden. Gleichzeitig würde dadurch auch die zuliefernde Industrie gestärkt, Baustoffe Holz, Steine, Beton Stahl. In diesem Zusammenhang finden sich Hinweise zur Beratung durch den Architekten Dr. Martin Wagner und die sozialen Bauhütten. Hilferding erhoffte sich durch diese Maßnahmen eine umfassende Erholung der deutschen Wirtschaft.

Umgesetzt wurden diese Ideen nicht mehr von Rudolf Hilferding selbst. Am 4. Oktober wurde er gestürzt. Die Vossische Zeitung sprach von einen „kalten Kapp-Putsch“. Stresemann baute sein Kabinett um. Hilferdings Nachfolger wurde der parteilose Hans Luther. Für Hilferding war dies politisch und persönlich eine Niederlage oder auch ein Glück: Er wurde damals nicht ermordet. Für die Sache war es wahrscheinlich ein Glück. Hans Luther konnte alle Vorhaben umsetzen. Reichspräsident Friedrich Ebert zeichnete sie ab:

Die Verordnung über die Errichtung der Deutschen Rentenbank wurde am 15. Oktober 1923 erlassen. Die Bank gab erste neue Banknoten mit dem Datum 1. November um den 20.11.1923 heraus.

Die 3. Steuer-Notverordnung vom 14.2.1924 enthielt die Gebäudeentschuldungs- und die Obligationssteuer.

Genau einen Monat später gründeten Martin Wagner und August Ellinger am 13.03.1923 die DeWoG zum reichsweiten Wohnungsbau. Am 14.April 1924 wurde im Bundeshaus des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) die Gemeinnützige Heimstätten AG (GEHAG) gegründet. Die GEHAG fand schon bald internationale Anerkennung: Die Großsiedlung Britz (Hufeisensiedlung) und die Wohnstadt Carl Legien gehören heute zum Weltkulturerbe. Die Waldsiedlung Zehlendorf (Onkel Toms Hütte) soll in diesem Jahr nachnominiert werden.

Rudolf Hilferding hat damals den Anstoß zur Finanzierung dieser klassischen Moderne in Deutschland gegeben, die wir als „Neues Bauen“ bezeichnen.

Das August-Bebel-Institut und der Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin Brandenburg werden Rudolf Hilferdings gedenken und das 100ste Gründungsjubiläum der GEHAG mit allen noch existierenden Gründungsaktionären, den Gewerkschaften DGB, Verdi, IG Bau, den Baugenossenschaften Ideal, 1892, Freie Scholle Tegel, Paradies, Wohnungsbauverein Neukölln, der Allgemeinen Ortskrankenkasse AOK, sowie der Konsumgenossenschaft Berlin und Umland etc. im nächsten Jahr 2024 mit Tagung und Buchpublikation würdigen.

Autor: Steffen Adam
Mitglied im Vorstand des Architekten- und Ingenieurvereins zu Berlin-Brandenburg
Architekt und Bauhistoriker
Schwerpunk Sanierung und Instandsetzungen von Verkehrs- Gewerbe und Wohnbauten im Bestand, Vermittlung von Baudenkmalen und denkmalwerter Substanz, ehemals Lehrtätigkeit im Fach Geschichte des Bauingenieurwesens.

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Rudolf Hilferding mit Gattin
Zum Regierungswechsel in Deutschland. Der neue Reichsfinanzminister Helferding, sozialdemokratische Partei.
Rudolf Hilferding 1923